„Der blinde Passagier“ (d’haus/ Schauspielhaus/ Kleines Haus)
Ganz groß: Wiederentdeckung einer Vergessenen. – Maria Lazar (1895 – 1948), Österreicherin, Freundin von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Sie gehört zu denen, weil Jüdin, die vom Wahn der Nazis ins Exil und damit ins Vergessen getrieben wurden, war eine der wenigen Hellsichtigen, die voraussahen, was Faschismus an Grauen bedeutet. Erst in den letzten Jahren wurde sie wiederentdeckt, zu danken dem rührigen Wiener „Verlag der vergessenen Bücher“ (unbedingt lesenswert beispielsweise „Die Eingeborenen von Maria Blut“), dem Wiener Burgtheater und einer Enkelin. Sie hat erst jüngst den Nachlass gehoben und geordnet. Darunter: das 1938/ 39 verfasste Theaterstück „Der blinde Passagier“.
Dieses Drama ist von jener Art, für die sich seit einigen Jahren der Begriff „Well-made play“ eingebürgert hat. Die Handlung ist spannend, der gedankliche Gehalt anregend, es wird geradlinig erzählt, das Publikum gerät zunächst vor allem in einen Strudel emotionaler Beteiligung, der zu einem langen Nachdenken führt.
Auf der ganz in Grau gehaltenen Bühne: ein Schnitt durch ein kleineres Frachtschiff. Oben und Unten, Außen und Innen sind sichtbar. Der Kutter liegt in einem deutschen Hafen. Die Abfahrt in die Heimat Dänemark steht unmittelbar bevor. Auf dem Schiff: der Kapitän, seine erwachsenen Kinder, Tochter und Sohn, der Steuermann, Verlobter der Tochter. Ein jüdischer Flüchtling, vor seinen Häschern ins Wasser gesprungen, rettet sich auf das Boot. Die Kinder nehmen ihn auf, wollen instinktiv helfen. Was die kleine, familiäre Gemeinschaft spaltet. Denn der Vater beharrt auf Gesetzestreue, der Steuermann entpuppt sich als Anhänger der Nazis. Am Ende, die Heimat der Besatzung wurde erreicht, taucht auch noch die Mutter auf. Ihre Meinung zum sie scheinbar persönlich nicht betreffenden Terror (und damit zu dem davon ausgelösten Leid): „Es geht uns nichts an.“ – Dieses „Es geht uns nichts an.“ weist direkt in die Gegenwart.
Regisseurin Laura Linnenbaum hat das Schauspielensemble zu einer Höchstleistung geführt. Jede und jeder: exzellent. Wohltuend fehlt der Inszenierung jeglicher Schnickschnack. Keine Spur von eitlem Regietheater-Getue. So wie die Scheinwerfer unentwegt nach Haltepunkten in der Düsternis der Szenerie suchen, sucht Laura Linnenbaum vorsichtig, geradezu sanft, nach Momenten der Menschlichkeit. Wie die Akteure, so kommt auch sie ohne jegliche Schwarz-Weiß-Malerei aus. Beleuchtet werden Haltungen zwischen Anpassung und Widerstand, Duckmäusertum und Courage. Das ist ungemein spannend, erhellend, bewegend, gerade weil auf vordergründige Effekte verzichtend. Großes Theater im Kleines Haus des d’haus.