„Blindgänger“

(Deutschland, 95 Minuten/ Start in Deutschland: 29. 05. 2025)

Nach der bezaubernden und gedankenreichen Tragikomödie „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ begeistert Kerstin Polte jetzt mit sehr viel härterer Kost. – 2018, in ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“, hat die Drehbuchautorin und Regisseurin Kerstin Polte mit einem feinen Gespür für Zwischentöne begeistert. Sie bietet, was im deutschen Kino selten zu finden ist: eine konturenscharfe Spiegelung heftigster emotionaler Spannungen, ohne dass es platt wird oder Kitsch aufkommt und, vor allem, fern von polternd-vordergründigen Dialogen. Kurz: Sie kann Kino.

   In ihrem nun zweiten Spielfilm findet sich die gleiche Qualität. Dieses Mal allerdings dominiert kein märchenhaft-leichter-augenzwinkernd-ironischer Erzählton. Dramatik ist angesagt. Kein Wunder: Ist doch eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg Auslöser der Handlung. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die (durch den Bombenfund) gleichsam blind in eine Ausnahmesituation gestoßen werden. Die Spannung resultiert also vor allem aus Blicken ins Innere verschiedenster Charaktere.

   Am Anfang also: der Fund einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg. Hat sie einen Kurzzeit- oder einen Langzeitzünder? Letztere sind nicht so leicht zu entschärfen. Das Risiko von Explosionen und mit nicht abschätzbaren Auswirkungen ist sehr hoch. Allein das beunruhigt die Experten. Dazu kommen in der Hektik aufwändiger Evakuierungsmaßnahmen persönliche Belastungen. Der erfahrene Entschärfer Otto (Bernhard Schütz) hat eine bedrohliche Nachricht vom Arzt erhalten. Und seine Frau Hanne (Claudia Michelsen) liebt offenbar einen anderen Mann. Otto gerät aus dem Gleichgewicht. Seine wesentlich jüngere Kollegin Lane (Anne Ratte-Polle) muss ohne ihn auskommen. Aber auch ihr geht es nicht gut. Eine Angststörung quält sie. Dazu sorgt sie sich um ihre Mutter Margit (Barbara Nüsse). Die folgt den öffentlichen Aufforderungen zum Verlassen der Wohnung nicht, denn sie leidet unter den Erinnerungen an die Hamburger Bombennächte im Zweiten Weltkrieg. Der illegal in der Stadt lebende afghanische Flüchtling Junis (Ivar Wafaei) fürchtet sich vor Entdeckung und damit drohender Abschiebung. Drum zeigt er sich nicht, versteckt sich in der Wohnung seines Vermieters Viktor (Karl Markovics), einem älteren Travestiekünstler. All diese Menschen und noch einige mehr treffen aufeinander oder sind zumindest durch die Ereignisse miteinander verbunden. Der Stresspegel ist hoch. Es drohen fatale Entscheidungen …

   Die Figurenkonstellationen hätten sich locker zu einer rasanten Story voller krachender Effekte verbinden lassen. Der Stoff riecht geradezu nach Action-Kino. Kerstin Polte aber geht es augenscheinlich darum, unterschiedliche Facetten schlichter Menschlichkeit auszuloten. Ihre Inszenierung ist nicht reißerisch, sondern oft geradezu sanft, zurückhaltend, sensibel. Jede Situation mutet glaubwürdig an. Das ermöglicht es dem Publikum, sich in die Personen einzudenken und einzufühlen. Was Kamerafrau Katharina Bühler unterstützt hat. Sie vertraut der Ruhe unaufgeregten Beobachtens. Damit hat sie dem Schauspiel-Ensemble reiche Spielfelder ermöglicht. Tatsächlich sind einige exzellente Charakterstudien auszumachen. Alle Mitwirkenden haben eindringliche Momente. Es ist ungerecht, einzelne Namen zu nennen. Dennoch: Anne Ratte-Polle, Claudia Michelsen und Barbara Nüsse seien hervorgehoben. Ihre Porträts von Frauen in Krisensituationen packen nachhaltig, berühren. Mit kleinsten Mitteln zeigen sie, was hinter dem großen Begriff „Menschlichkeit“ steckt.

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