„Sentimental Value“

(Norwegen, Dänemark, Schweden, Deutschland, Frankreich / 135 Minuten/ Start in Deutschland: 04. 12. 2025)

Streitbarer Cannes-Preisträger. – Kitsch oder Kunst? Eher zu Sachlichkeit neigende Kino-Gänger dürften zu ersterem Urteil neigen. Wer’s gefühlvoll mag, lässt sich wohl gern einfangen. Geboten wird eine Vater-Töchter-Saga um Menschen, die es partout nicht schaffen, einander zu sagen, was sie denken oder fühlen.

   Wieder mal also: zerrissene Familienbande. Vater Gustav Borg (Stellan Skarsgård) war mal ein sehr erfolgreicher Filmregisseur. Lang ist es her. In der Öffentlichkeit ist er inzwischen fast vergessen. Nun versucht er, nach vielen Jahren der Abwesenheit, wieder Kontakt zu seinen beiden erwachsenen Töchtern zu bekommen. Ausgangspunkt: Schauspielerin Nora (Renate Reinsve) bietet er die Hauptrolle in einem neuen, seinem vermutlich letzten Film an. Sie lehnt ab. Denn die Vermutung liegt in der Luft, dass er nur ihre Bekanntheit ausnutzen will, damit die Kassen klingeln. Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas), die jüngere der Schwestern, arbeitet als Historikerin. Auch sie zieht nichts zu ihrem Vater. Gelingt eine Annährung?

   Vieles dreht sich – mal dezent, mal überdeutlich – um den Wert von Kunst, Filmkunst, für den Alltag. Kann sie helfen, Wunden heilen zu lassen? Der Vater glaubt’s wohl und sieht sich dabei in der Rolle des Strippenziehers. Das bekommt auch die US-Amerikanerin Rachel Kemp (Elle Fanning) zu spüren. Er hat sie, eine Bewunderin seiner alten Filme, an Stelle von Nora engagiert. Doch auch der Hollywoodstar lässt sich nicht fügsame Marionette missbrauchen.

   Mit dem Nachdenken über Mechanismen der Unterdrückung weiblicher Empfindungen und Entfaltungskraft erinnert der norwegische Drehbuchautor und Regisseur Joachim Trier an Meisterwerke seines schwedischen Kollegen Ingmar Bergman. „Das Schweigen“, „Szenen einer Ehe“, „Von Angesicht zu Angesicht“ kommen einem in den Sinn. Doch anders als der legendäre, vor bald zwanzig Jahren verstorbene Schwede deutet Trier nicht auf soziale Missstände, auch nicht auf das in den westlichen bürgerlichen Gesellschaften noch heutzutage drückende Erbe traditioneller religiöser Fesseln. Bergmans oft schmerzliche Tiefgründigkeit sucht man vergebens.

   Was zweifellos beeindruckt, ist das Schauspiel. Die Akteure, Stellan Skarsgård allen voran, bieten kluge Charakterporträts. Sie alle offenbaren wirkungsvoll Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der Figuren. Wichtigster Akteur allerdings: Das Haus der Familie Borg. Die Wände, Türen und Fenster erzählen eindringlich vom Auf und Ab des Lebens. Und wieder fällt einem der Titel eines Bergman-Films ein: „Schreie und Flüstern“. Da beschleicht einen Wehmut.

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